D&I Column: Ist Familie in der Schweiz nicht Familiensache?
Diese Kolumne ist eine Kollaboration verschiedener Personen und Organisationen, die sich für Diversity und Inclusion einsetzen.
Klar doch sind Frauen und Männer in der Schweiz gleichberechtigt, richtig?
Zumindest bis die Frau ein Kind gebärt. Dann sind viele von ihnen ohne «drümalumeluege» wieder dort wo ihre Mütter bereits waren: daheim. Bei Kind und Haushalt.
Die Väter? Die gehen meist wieder in gewohntem Pensum arbeiten, zu 100%.
Ist Familie in der Schweiz also nicht Familiensache?
Ich habe eine Werbeagentur geführt, hatte Mitarbeitende unter und neben mir, den gleichen Lohn wie meine männlichen Mitarbeitenden auf gleicher Stufe und wenn nicht, habe ich diesen eingefordert – mit Leistung und Durchsetzungsvermögen. Und vielleicht obendrauf mit guter Verhandlungstaktik.
Der Fünfer und das Weggli
Dann lernte ich meinen Mann kennen. Beim ersten Date sprachen wir von Kindern und darüber, was wir in unserer Karriere noch erreichen wollen. Von beidem: dem Fünfer und dem Weggli.
Bald schon freuten wir uns über das erste Kind und ich blieb sieben Monate zuhause. Es war eine schöne Zeit. Ich möchte sie nicht missen.
In dieser Zeit fanden jedoch nicht nur «Schau, es hat Gaggi gemacht»-Gespräche zuhause statt, sondern – während meiner Abwesenheit – auch Lohngespräche im Büro. Und ohne Lohngespräche, keine Lohnerhöhung.
Als Frau war ich wegen der Mutterschaftsabwesenheit also locker ein bis zwei Lohnerhöhungen hinter den weiterarbeitenden Vätern.
In dieser Zeit plagte mich etwas, was mein Mann nicht hatte: Gewissensbisse. Die hat mir niemand eingeredet, die kamen einfach, je näher die Rückkehr zur Arbeiten kam, die dann bitteschön mehr als 40% sein sollte.
Vom Vorzeige-Modell in alte Rollenmuster
Nach meinem Mutterschaftsurlaub arbeiteten wir beide 60%. Gleichberechtigt. Er wusste, wo die Windeln waren (und wie man sie anzieht) und wieviel Milch das Kind trinkt. Er war der Vorzeige-Mann, was Gleichberechtigung und Vereinbarkeit anging.
Unser Mädchen musste nur einen Tag fremdbetreut werden, da er sein Pensum ebenfalls reduzierte – mehr als alle Männer in unserem Freundeskreis. Dort herrschte, wenn überhaupt, der obligate Papi-Tag vor – natürlich am Freitag.
Ob wir uns beim zweiten Kind noch immer so aufteilten?
Natürlich nicht. 60% waren bei ihm plötzlich nicht mehr möglich, er stieg auf. «Ich kann in meinem neuen Job nicht weniger als 80% arbeiten», meinte er.
Väter sind zu wichtig – um sich der Arbeit mit Kindern zu widmen. Ein weiteres Learning in Sachen Vereinbarkeit.
Ich konnte. Kein Problem. Zumindest nicht seitens meiner Arbeitgeber. «Sind die Jobs der Mütter weniger wichtig?», fragte ich mich und habe bis heute darauf keine plausible Antwort gefunden. «Gehen also nur Männer solch unverzichtbaren Tätigkeiten nach?»
Oder anders: «Machen Millionen von Frauen Jobs, auf die man – zumindest teilweise – gut und gerne verzichten kann?»
Klar kann jede Familie für sich entscheiden, wer daheim bleibt und zu den Kindern schaut. Dass es meist ausschliesslich die Frau ist, ist ebenfalls okay. Aber nicht emanzipiert. Und schon gar nicht gleichberechtigt.
Vereinbarkeit und damit Gleichstellung kommen oft nicht gut, wenn Männer ihr Pensum nicht auch reduzieren. Ausser, man hat Grosseltern, welche die Betreuung für zwei bis drei Tage übernehmen. Oder genug Geld für die KiTa oder eine Nanny. Oder kein schlechtes Gewissen.
Warum willst Du denn Kinder haben, wenn du gleichzeitig auch Karriere machen willst?
Als ich ein paar Jahre später gemeinsam mit drei anderen Müttern den schweizweit ersten Coworking Space mit Kinderbetreuung gründete (eben weil das alles nicht so einfach war mit Job und Familie und Lohn und Partnerschaft), wurde ein Online-Artikel darüber veröffentlicht.
Ich solle mich auf einen Shitstorm vorbereiten, hiess es damals seitens Redaktion. «2019? Sicher nicht!», dachte ich, um ein paar Tage später zähneknirschend Kommentare wie «Warum willst Du denn Kinder haben, wenn du gleichzeitig auch Karriere machen willst?» unter ebendiesem Artikel zu lesen.
Dieselbe Frage wurde übrigens ein Jahr später auch Moderatorin Steffi Buchli in einer Talkrunde zum Verhängnis. Auch sie wusste im ersten Moment nicht, ob sie lachen oder weinen sollte.
Fakt ist
Wir reden über Gleichberechtigung, über Vereinbarkeit, über neue Familienmodelle und vergessen dabei ein paar Fragen an die richtige Adresse zu stellen:
Weshalb fügen sich Frauen den traditionellen Rollen? Und was hält Männer davon ab, mehr Zeit mit ihren Kindern zu verbringen?
Wenn man als Familie gleichberechtigt aufgestellt sein möchte, muss man auch verzichten: auf Geld, auf Annehmlichkeiten.
Beide. Tut es der Mann nicht, wird es schwierig für die Frau, denn nicht jede Familie kann die Betreuung familienintern abfedern.
Es ist in Ordnung zu sagen, dass man die Kinder nicht fünf Tage die Woche fremdbetreuen lassen möchte. Das ist nicht unemanzipiert.
So wie es auch in Ordnung ist, das Kind mehr in die KiTa zu geben, als es die durchschnittliche Schweizer Gesellschaft als angemessen empfindet.
So oder so ist es jedoch nicht einfach und eben auch nicht fair oder gar gleichberechtigt, wenn diese Entscheidungen nur bei den Müttern angesiedelt sind.
Familie ist Familiensache. Diesmal ohne Fragezeichen.
Über Diana Wick Rossi
Diana Wick Rossi ist Co-Founder von Tadah, dem ersten Schweizer Coworking Space mit Kinderbetreuung und Online-Magazin über Vereinbarkeit. Sie ist zudem Mutter zweier Mädchen und scheitert immer wieder daran, den Fünfer und das Weggli zu haben.